In Bezug auf die Erkankung »Instabile Persönlichkeitsstörung, Typ Borderline« von Schuld oder nicht Schuld zu sprechen, gestaltet sich eher schwierig. Denn wie einige andere psychische Krankheiten auch entsteht jene durch ein Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung sowie den Einflüssen und Erlebnissen in der (frühen) Kindheit. Sind also meine Mutter oder mein Vater daran Schuld, dass ich heute so bin, nur weil sie mich geboren haben? Ganz sicher nein. Tragen sie durch ihr Verhalten, ihre Erziehung Schuld daran? Möglicherweise. Doch ich bin nicht jemand, der leichtfertig jemand anders Schuld zuweist, selbst wenn es tatsächlich so wäre.

Ich bin jemand, der gerne bei sich selbst die Schuld sucht. Sei es im Job, im zwischenmenschlichen Bereich oder oder oder. Im Moment läuft einiges wieder nicht so, wie es sollte. Es läuft also nicht rund. Und das seit einigen Wochen, wenn nicht gar Monaten. Es sei dazu bemerkt, dass ich es wie so oft nicht kommen sah – oder schlichtweg verdrängt habe. Die ersten Vorboten gab es bereits, sie winkten mir zu wie ein Zaunpfahl. Nein, es hatte gefälligst nicht so zu sein. Ignorieren. Ganz gezielt sowie mit Fug und Recht lässt sich genau an dieser Stelle sagen: selbst schuld.

Konkret geht es darum, wie sehr ich mich ein mal mehr in meinem Kopf verlaufen habe. Ein Schild hier, ein anderes da – der menschliche Geist ist eben die Quelle aller Ver(w)irrung.

Ich habe mich selbst überfordert.

Mit Überforderung ist eben auch gemeint, dass ich all jene so offensichtlichen Anzeichen einer kommenden Welle mit sehendem Auge einfacht nicht beachtete. Im Gegenteil, so sagte ich mir: Nein, ich kann noch weiter gehen. Meine Grenzen erweiterten sich immer mehr, sehr konstant, bis sie letztlich durchlässig, porös und so stabil wie Esspapier im Wasser wurden.

Die eigenen Grenzen zu missachten stellt einen Teil des Puzzles dar. Dass dies jedoch dazu führen kann, fremde Grenzen zu überschreiten, versteckt sich in einem anderen Teil des Bildes. Wenn das geschieht, ist es längst zu spät. Für alle Seiten. Und entweder wird das an irgendeiner Stelle registriert und entsprechende Maßnahmen ergriffen, oder es kommt eben zum Fiasko. Das innere Kind rebelliert am durchlässigen Zaun. Wandert mit traumwandlerischer Sicherheit auf verschiedenen, fremden Gebieten ohne die Gefahr wahrzunehmen, hier und da könnten doch Mienen laueren, die bei einem falschen Schritt in die Luft gehen könnten.

Böses Mädchen. Was da im Innern vor sich geht, nach dem ein Kollateralschaden geschah, jedoch vermeidbar gewesen wäre, lässt sich am ehesten mit einer verspäteten Erziehungsmaßnahme an einem erwachsenen Menschen vergleichen. Schon mal auf der Straße oder auf dem Spielplatz oder sonstwo einen Elternteil beobachtet, der sein Kind unglaublich hart beschimpft, weil es wieder einmal nicht gehört und irgendeinen Unsinn angestellt hat? Der Unterschied besteht lediglich darin, dass das reale Kind eben erst noch in den Anfängen steckt, es sich also um mindestens zwei physische Wesen handelt – bei mir … herrje … ich muss mich quasi selbst erziehen. Dieser Mensch ist physisch also nicht greifbar. Er existiert nur in meinem Innern. Und zeitweise geht mir dieses Kind so richtig auf den Keks, weil es mit Quängeleien, Frechheiten und unfassbar sinnlosen Aktionen einfach nicht aufhören will. Innere Dialoge in Dauerschleife. Immer wieder gut einreden, behutsam sein, an den richtigen stellen jedoch aus einer Notwendigkeit heraus auch unnachgiebig sein. Selbst wenn es das Kind (noch) nicht versteht, wieso dieses und jenes jetzt unbedingt so sein muss. Da kann es noch so sehr das Mobiliar zerfetzen und zerhacken wollen – nein, du bleibst jetzt da, du machst nichts aus irgendeinem Affekt heraus, sondern hältst dir vor Augen, dass du schon öfter solche Situationen hattest, du ziehst dich weitestgehend zurück, du bleibst verdammt nochmal ruhig in deiner stillen Ecke und hältst das aus! Was hat dich die Erfahrung der letzten Jahr gelehrt? Richtig: Bis jetzt ist immer noch alles gut gegangen, auch wenn es seine Zeit brauchte, bis du wieder eingependelt warst und jeder wieder halbwegs normal mit dir umgehen konnte.

Erst Ende August begann ich wieder mit Skills. Sprich innere Achtsamkeit üben sowie verschiedene Gegenstände für einen Notfallkoffer zusammenzustellen. Kronkorken, ungeschliffene Würfel und Jonglieren erweist sich derzeit als recht nützlich. Ebenso wie langes, ausgiebiges Schlafen, Bildbearbeitung (auch wenn Schwarzweiss nicht auf große Gegenliebe stößt, doch das ist egal, denn du machst es für dich), Spaziergänge, Lesen, sich informieren, externe Dialoge meiden (weil du merkst, dass du selbst deinem eigenen Bruder unzusammenhängendes Zeug beginnst zu schreiben), auf die Arbeit konzentrieren, auf der einen Seite aktiv werden für sich selbst, auf der anderen Seite in die passive Haltung gehen, um weiteren Schaden zu vermeiden.

Bin ich wirklich schuld?

Einerseits ja, weil ich als Elternteil meines Selbst meine Aufsichts- und Fürsorgepflicht schwer vernachlässigt habe. Andererseits nein. Jedenfalls sagt mir das mein Verstand. Sehen wir es wie im Straßenverkehr als Teilschuld. Aber für den Schaden muss ich natürlich in irgendeiner Form selbst aufkommen. Im Augenblick kann ich nur Schadensbegrenzung betreiben, in dem ich dem umgekippten Benzinlaster nicht noch zusätzlich Feuer gebe, sondern das Leck mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln flicke.