Je mehr man einen Menschen kennen lernt, desto mehr versteht man auch seine ihm zu eigen gewordene Sprache. Dabei spielt nicht unbedingt die Fülle an Worten eine Rolle, sondern die Worte an sich. Einige Menschen beherrschen es, ihre Meinung, ihr Befinden oder was auch immer sehr knapp und dennoch deutlich auszudrücken. Ich gebe zu, das treibt mich manchmal in den Wahnsinn, weil ich dann oft genug denke, der Gegenseite ist das Gespräch gerade egal, nicht so wichtig oder oder oder. Ich gehöre also zu der zweiten Sorte Menschen, die ihre Gedanken, Gefühle und Eindrücke wirklich nicht kurz ausdrücken können. Ist das jetzt schlimm? Keine Ahnung.

Codes
Gehen wir zurück zur Sprache an sich bzw. deren Eigenarten. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, und ich antworte mit »Ganz ok«, dann ist das in Wahrheit nur ein Code. Nämlich für »Nicht gut, aber auch nicht schlecht, könnte besser sein.« In der Praxis hat sich das als sehr nützlich erwiesen, denn auf »Ganz ok« kommen in der Regel keine ((un-)erwünschten) Nachfragen. Diese Aussage kann einfach so stehen bleiben.

»Pass auf dich auf« geht da ein wenig weiter. Zum einen drückt es »Ich sorge mich um dich / Ich denke an dich« aus, zum anderen ziehen diese Worte eine imaginäre Linie namens »Loslassen« aus. Loslassen wovon? Vereinfacht ausgedrückt geht es um das zeitlich begrenzte Freiraum geben dem jeweiligen Gesprächspartner gegenüber – und sich selbst diesen auch einzugestehen. Warum? Weil es in dem Augenblick vielleicht nicht möglich ist, sich mit dem anderen Menschen tiefer auseinanderzusetzen.

»Bis bald« stellt für mich persönlich einen der interpretierfähigsten Codes dar. »Bald« ist für mich ein sehr dehnbarer Begriff. Was bedeutet »bald«? Das können ein paar Tage oder Wochen sein. Es kann ausdrücken, dass man jemanden gerne wiedersehen möchte. Jedenfalls meine ich das, wenn ich das jemandem schreibe. Genauso gut kann es bedeuten, dass der Gegenüber sich das wünscht oder aber gerade auch selbst nicht weiß, wann ein nächstes Wiedersehen oder ein nächster Kontakt möglich ist.

In der Realität geschieht es immer wieder, wenn ich aufstehe und z.B. zur Toilette möchte, dass ich gefragt werde, wo ich hin möchte. »Wo willst du hin?« bedeutet in dem Fall nicht nur wissen zu wollen, wo es denn hingeht, sondern impliziert sehr subtil die Aussage »Ich komme mit« oder »Ich möchte nicht alleine hier bleiben«. Und so spielt es sich in vielen unterschiedlichen zwischenmenschlichen Beziehungen ein, eine Art Gedanken lesen und Vorhersage.

Synonyme
Eigentlich handelt es sich hierbei um Worte mit gleicher Bedeutung wie erklären und erläutern oder Applaus und Beifall. Was den meisten Menschen jedoch nicht bewusst ist, ist, dass es Floskeln gibt, die mehrere Dinge gleichzeitig ausdrücken können, der ausschlaggebende Kontext dazu allerdings immer von der Person kommt, die sie ausdrückt.

»Wie du magst« steht für »Ich überlasse dir die Entscheidung« und »Mir egal«. Eine sehr höfliche Form derer, die entscheidungsscheu sind. Stünde zuerst »Mir egal«, bekäme es mindestens eine weitere Bedeutung bzw. mögliche Interpretationsmöglichkeit: »Du nervst«, »Ich hab jetzt keine Lust« oder »Lass mich in Ruhe«. Vielleicht noch ein paar mehr. Jedenfalls wiegt ein »Mir egal« schwerer als ein »Wie du magst«.

Was mich sehr lange Zeit schier rasend machte, war »Alles klar«. Eigentlich ist das die wortfaule Variante von »Geht in Ordnung«, »Ich habe es zur Kenntnis genommen«. Nun, möglicherweise Schraube ich einstweilen meine Erwartung an die Kommunikation mit anderen Menschen recht hoch – weil ich schreibtechnisch nicht gerade wortkarg bin und mich immer freue, wenn sich jemand anders Mühe gibt, mehr als zwei oder drei Zeilen zu erwidern.

Schweigen
Manchmal ist Schweigen vielsagender als Reden. Wenn man sein Gegenüber gut kennt, weiß man eine Nicht-Kommunikation schon recht genau einzuschätzen. Das stimmt etwas mit Paul Watzlawick überein: »Man kann nicht nicht kommunizieren«. Schweigen gewinnt sogar an Dynamik, wenn es für den anderen Menschen eher untypisch ist.

Ein sonst eher extrovertierter Typ kehrt plötzlich sehr in sich – für mich ist das nur ein wenig schwierig. Denn ich weiß, wie es ist, wenn man sein Innerstes auch ein mal nicht nach Außen kehren möchte. Zum einen bedeutet es, dass derjenige im Kopf sehr beschäftigt ist und sich mit sich selbst auseinandersetzt, zum anderen, dass möglicherweise aus Rücksicht nicht über bestimmte Dinge gesprochen wird, um Konflikte bzw. Verletzungen zu vermeiden. Auf der Seite des aufmerksamen Beobachters kommt es jedenfalls so an.

Hier sind besondere Qualitäten des präsenten Zuhörers gefragt. Nämlich dann seine Meinung Kund zu tun, wenn es für notwendig gehalten wird, andererseits dem Gesprächspartner seine Ruhe zu lassen, nicht zu bedrängen, sondern ihm seine Verschlossenheit zu lassen, weil sie gerade wichtig ist. Schweigen ist kein dauerhafter Zustand. Irgendwann wird wieder das Gespräch gesucht, ganz gleich von welcher Seite aus. Dazu bedarf es nur ein wenig Vertrauen und Geduld – denn mit Druck wird oft nur wenig erreicht.

Solche Momente nutze ich, um etwas Distanz zu bestimmten Themen und zu mir selbst zu schaffen. Denn je näher einem etwas ist, desto verletzlicher ist der Mensch …